Amtsgericht Kassel, Urteil vom 07.10.2014, Az. 413 C 5570/12
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Amtsgericht Kassel, Urteil vom 07.10.2014, Az. 413 C 5570/12

In dem Rechtsstreit

 

(…)

 

gegen

 

(…)

 

hat das Amtsgericht Kassel, Abteilung 413 durch die Richterin am Amtsgericht (…) im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO für Recht erkannt:

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheits­leistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

 

Die Parteien streiten über nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung.

 

Der Beklagte ist ehemaliges Vorstandsmitglied der (…) AG und war als solcher auch im Handelsregister eingetragen. Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Krankenversiche­rung. Ihr obliegt die Überwachung und Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags für die bei ihr Krankenversicherten.

 

Gemäß § 23 I 2 SGB i.V. m. § 10 der Satzung der Klägerin ist der Gesamtsozialversiche­rungsbeitrag am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt.

Für den Monat September 2009 macht die Klägerin nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile für insgesamt sechs Mitarbeiter der (…) AG geltend.

Am 25.09.2009 kam es zu einem Anteilskaufvertrag der (…) AG. Diese reichte im Nach­gang zu dem Anteilskaufvertrag am 29.09.2009 ein sogenanntes Sanierungsdarlehen in Höhe von 4.500.000,00 EUR sowie zwei weitere Tranchen von je 1.000.000.00 EUR ein, die bis spätestens, zum 23.10.2009 zur Auszahlung gebracht werden sollten. Der Darlehensver­trag wurde dann jedoch gekündigt.

Die (…) AG stellte sodann am 28.10.2009 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, dem auch nachfolgend entsprochen wurde. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Insolvenzgutachtens wurde bereits am 26.10.2009 die vorläufige (schwache) Insolvenzver­waltung angeordnet.

Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren. gegen den Beklagten wegen eines Verstoßes gegen § 266 a StGB wurde eingestellt.

Die Klägerin behauptet, es seien im September 2009 (…), (…), (…), (…), (…) und (…) bei der (…) AG beschäftigt gewesen, für die ein Arbeitnehmeranteil für Gesamtsozialversiche­rungsbeiträge in Höhe von 2.340.24 EUR zu entrichten gewesen sei. Die Berechnung ba­siere auf dem Beitragsnachweis, den die Arbeitgeberin erstellt und übermittelt habe, sowie den Feststellungen im Rahmen der Betriebsprüfung. Die Versicherten hätten ihre Arbeits­leistung erbracht. die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge für diesen Monat sei indes ausge­blieben. Den Versicherten seien für diesen Monat auch die Nettolöhne ausbezahlt worden.

Der Jahresüberschuss habe im August 2009 418.022.29 EUR betragen. Die finanziell schlechte Situation habe insbesondere mit dem Vertriebsbereich zusammengehangen. Dem Beklagten könne daher diese Krise nicht entgangen sein. Die finanzielle Schieflage der (…) AG habe auch bereits vor der angeblichen Arbeitsunfähigkeit des Beklagten begonnen. Sie – die Klägerin – habe am Fälligkeitstag dem 26.09.09, versucht, die Beiträge einzuzie­hen. Es sei dann am 01.10.09 die Rücklastschrift erfolgt. Der angegebene Grund sei „nicht bezahlt“ gewesen und damit fehlende Kontodeckung/fehlende Liquidität. Die (…) AG sei zudieser Zeit in einer wirtschaftlichen Krise gewesen, wovon der Beklagte Kenntnis gehabt habe. Eine Zahlungsunfähigkeit habe zu diesem Zeitpunkt bei der (…) AG hingegen noch nicht vorgelegen. Die (…) AG habe das Sanierungsdarlehen zur Abwendung der drohen­den bzw. bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der (…) AG gewährt.

Sie ist der Ansicht, der Beklagte habe es in Anbetracht dieser Situation pflichtwidrig unterlas­sen, rechtzeitig Maßnahmen zur SichersteIlung der Beiträge zum Fälligkeitszeitpunkt zu treffen, beispielsweise durch Einbehaltung der Nettolöhne. Auch längere Krankheit des Be­klagten entschuldige ihn als Organ nicht. Der Beklagte habe zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Jedenfalls hätten ihm auch Überwachungspflichten spätestens in einer wirtschaft­lichen Krisensituation oblägen, denen er nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Er hätte sich durch geeignete Maßnahmen, beispielsweise Rückfragen bei den in Frage kommenden Bankinstituten vergewissern müssen, dass die Zahlungen pünktlich erfolgten.

Zudem hafte der Beklagte nach außen im Sinne einer Durchgriffshaftung aus seiner Vor­standstätigkeit.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aufgrund einer vorsätzlichen un­erlaubten Handlung 2.340,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 29.09.2009 zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Er behauptet, er sei zum 01.01.2008 in den Vorstand berufen worden und dort nur für den „Vertrieb“ zuständig gewesen. Innerhalb des Vorstandes hätten weitere Ressorts bestanden,

mitunter auch für Finanzen und Personal. Für den Vertrieb seien noch drei weitere Vor­standsmitglieder zuständig gewesen. Jedes Vorstandsmitglied sei primär für sein Ressort zuständig’ und verantwortlich gewesen. Seine Aufgabe sei es gewesen, neue Vertriebler ein­zustellen, die Führung bestehender und die Einrichtung und Ausweitung von Vertriebsstruk­turen.

Für Finanzen und Personal seien andere Personen zuständig gewesen. Finanzvorstand sei zum relevanten Zeitraum Herr (…) gewesen.

Am 28.01.2009 habe er einen schweren Skiunfall gehabt und sei anschließend bis Dezem­ber 2011 arbeitsunfähig gewesen. Allerdings habe er sich über die Firma und deren Finan­zen weiterhin Informiert. So habe er mehrmals Im Monat mit dem Finanzvorstand (…) über die finanzielle Situation der (…) AG gesprochen. Auch habe er in regelmäßigem Kontakt mit den übrigen Vorständen und mit Herrn (…) gestanden. Es sei dabei um Debito­ren/Kreditoren, zu erwartende Geldeingänge von Versicherungsunternehmen und zu erwar­tende Entwicklungen gegangen. Noch Anfang September 2009 habe der Finanzvorstand ihm – dem Beklagten – berichtet, dass alle fälligen Verbindlichkeiten bezahlt worden seien. Aus den Gesprächen und herangezogenen Unterlagen/Kontoauszügen hätten sich keine überraschenden finanziellen Entwicklungen ergeben. Noch am 24.09.09 seien keine Eng­pässe betreffend die Sozialversicherungsbeiträge für September 2009 ersichtlich gewesen. Es seien auch sonst keine fälligen Verbindlichkeiten nicht erfüllt und im September 2009 alle Rechnungen bezahlt worden.

 

 

Ende September 2009 sei der Vorstandvorsitzende (…) durch die (…) AG abgesetzt worden. Der Finanzvorstand habe Anfang Oktober 2009 keinen Zugriff mehr auf die Konten gehabt. Dann habe auch bereits das Insolvenzverfahren begonnen. Alles sei sehr schnell gegangen. Er habe nicht mehr reagieren können. Bei einem Interesse einer Firma wie der (…), bei der (…) AG einzusteigen, sei auch nicht davon auszugehen gewesen, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden.

Im Übrigen seien auch nach den Feststellungen des Insolvenzverwalters zum 27.10.2009 alle notwendigen Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung abgeführt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen 31.10.13 und 15.05,14 (BI. 163-166, 198-200 d: A.) verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Klage ist unbegründet.

 

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus § 623 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB.

266 a StGB ist zwar ein Schutzgesetz im Sinne von § 623 Abs. 2 BGB. Es fehlt jedoch je­denfalls an dem erforderlichen Vorsatz bzw. dem Nachweis desselben.

266 a Abs. 1 StGB erfordert, dass ein Arbeitgeber der EinzugssteIle Beiträge des Arbeit­nehmers zur Sozialversicherung vorenthält, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird.

 

Der Beklagte ist tauglicher Täter dieser Vorschrift, da er unstreitig Vorstandsmitglied der (…) AG im September 2009 gewesen ist und auch als solcher im Handelsregister eingetragen war. Damit war er als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person ein für den Arbeitgeber im Sinne von § 14 StGB verantwortlich Handelnder.

Die Tathandlung des § 266a StGB besteht in dem Vorenthalten von fälligen Arbeitnehmer­anteilen am Gesamtsozialversicherungsbeitrag gegenüber der EinzugssteIle. Die strafbe­wehrte Zahlungspflicht besteht nach dem Gesetzeswortlaut unabhängig von einer Arbeits­entgeltzahlung.

Entscheidend sind allein die Entgeltzahlungspflicht und die Nichtabführung bei Fälligkeit.

 

Die Zahlung der fälligen Beitragsschuld gegenüber der Einzugsstalle muss aber möglich und zumutbar sein (Schönke/Schröder, StGB, 29. A., § 266a Rn. 5-10a, zit. n. Beck-online). Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Täter aus tatsächlichen (z. B. Krankheit) oder rechtlichen Gründen (z. B. Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Bestellung eines vorläufigen Insol­venzverwalters) an dem Treffen der entsprechenden Dispositionen verhindert ist (Schönke/Schröder, a. a. O.). Ein Fall der Handlungsunfähigkeit ist auch die Zahlungsunfä­higkeit, wobei allerdings konkret die Mittel für die vorrangige Entrichtung der fälligen Arbeit­nehmerbeiträge fehlen müssen (Schönke/Schröder, a. a. O.).

 

Bei einer mehrgliedrigen Geschäftsleitung bleibt es grundsätzlich bei der Allzuständigkeit je­des Geschäftsführers. Eine interne Zuständigkeitsregelung oder eine Delegation der Aufga­ben, wie sie vor allem in größeren Unternehmen üblich ist, kann deshalb nicht zu einer Auf­hebung, wohl aber zu einer Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortung führen. Die Abführungspflicht wandelt sich nämlich nach einer beanstandungsfreien und angemessenen Einarbeitungsfrist in eine Überwachungspflicht um. Deshalb ist im Allgemeinen nur der auf­grund einer internen Zuständigkeitsvereinbarung für den Bereich Personal/Sozialversicherung zuständige Geschäftsführer oder eine kraft Delegation zuständige andere Person (z. B. Prokurist) für die Abführung strafrechtlich verantwortlich (Beck Online-Kommentar zum StGB, § 166a Rn. 6.2. m.w.N.).

 

Dies ändert sich aber dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der so­zialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den zuständigen Geschäftsführer etc. nicht mehr gewährleistet ist, z.B. bei krankheits- oder urlaubsbedingter Abwesenheit oder in finan­ziellen Krisensituationen (BGHSt 47,318, 325).

 

Wenn die Strafbarkeit bei Unmöglichkeit der Zahlung am Fälligkeitstag an die Zurechnung

eines pflichtwidrigen Vorverschuldens anknüpft, gelten folgende Anforderungen: Der Hand­lungspflichtige muss die Anzeichen von Liquiditätsproblemen, die besondere Anstrengungen zur Sicherung der Abführung der Beiträge erfordern, also die Zuspitzung der wirtschaftlichen Situation, und die daraus resultierende Beitragsgefährdung sehen, was auch durch ungeord­nete Verhältnisse im Unternehmen begründet sein kann (6GHZ 134, 304,415). Nimmt er da­bei zumindest billigend in Kauf, dass bei Unterlassung von Sicherheitsvorkehrungen später möglicherweise die Beiträge nicht mehr rechtzeitig erbracht werden können, ist hinsichtlich des Merkmals der Pflichtwidrigkeit auch Vorsatz gegeben (BGH NJW 2002,1123, 1125). Bloße Zweifel an der späteren Zahlungsfähigkeit zum Fälligkeitstage können dagegen nicht zur Begründung des Vorsatzes ausreichen (BGHZ 134, 304, 315). (Insgesamt zitiert aus Beck-Online, Kommentar zum StGB-Wittig, § 266a Rn 28.1; Stand 22.07.13). Der subjektive Tatbestand von § 266 a Abs. 1 StGB erfordert nämlich zumindest bedingt vorsätzliches Handeln. Erforderlich sind das Bewusstsein und der Wille, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen (BGH NJW 1992, 177, 178). Das Vorliegen einer Abbuchungserlaubnis für die Krankenkasse setzt die Feststellung Schuldhaft fehlender Kontodeckung voraus.(OLG Düsseldorf StV 2009, 193 f).

 

Die Darlegungs- und Beweislast des Sozialversicherungsträgers erstreckt sich dabei auch auf den Vorsatz des Beklagten. Geschäftsführers diesen trifft zufolge der aktuellen BGH-Rechtsprechung nur eine sekundäre Darlegungslast (BGH II ZR 220/10, zit. n. juris). Für die Möglichkeit normgemäßen Verhaltens ist im Rahmen des § 823 Abs. 28GB i. V. m. § 266 a StGB der Anspruchsteller darlegungs- und beweispflichtig, An die Erfüllung der grundsätzlich bestehenden sekundären Darlegungslast des Anspruchsgegners dürfen keine diese Verteilung der Vortragslast umkehrenden Anforderungen gestellt werden. (BGH Urt. v. 18.04.2005, Az. II ZR 61/03, zit. n. Juris).

 

Es kann vorliegend dahinstehen, ob tatsächlich die Verpflichtung zur Abführung von Arbeit­nehmerbeiträgen für die (…) AG in der von der Klägerin behaupteten Höhe bestand, die Be­rechnung mithin korrekt vorgenommen wurde und die Arbeitnehmer auch die entsprechen­den Arbeitsleistungen erbracht hatten.

 

Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen und bewiesenen zumindest bedingten Vorsatz

des Beklagten. Die Klägerin hat trotz gerichtlichen Hinweises keinerlei Beweis für ihren Vor­trag angetreten, dem Beklagten seien die Probleme bei der Nichtabführung der Sozialversi­cherungsbeiträge bekannt gewesen.

 

Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wurde eingestellt und kann zur Beweisführung nicht herangezogen werden.

 

Die schlichte Nichtzahlung der Beiträge indiziert dabei nicht schon zwingend ein zurücklie­gendes Vorverschulden (Fischer, StGB, 57, A., § 266 a Rn. 15a).

 

Zu berücksichtigen und zu bewerten sind die folgenden Umstände:

Es handelt sich lediglich um nicht bezahlte Beitragsrückstände für einen Monat. Genau einen Monat nach der Fälligkeit der Beitragsschuld wurde unstreitig das Insolvenzverfahren bean­tragt. Es wurde unmittelbar ein vorläufiger (schwacher) Insolvenzverwalter bestellt. Das In­solvenzverfahren wurde schließlich auch eröffnet.

 

Bereits nach dem Vortrag der Klägerin gab es einen Anteilskaufvertrag mit der (…) AG vom 25.09.09 und eine Einreichung eines.Sanierungsdarlehens am 29.09.09 über 4,5 Millio­nen Euro. Der Jahresüberschuss betrug nach dem Vortrag der Klägerin in Übereinstimmung mit den Feststellungen in dem Insolvenzgutachten im August 2009 418,022,29 EUR. Es wurden unstreitig noch Ende Oktober 2009 die notwendigen Beitragszahlungen von Sozial­versicherungsbeiträgen vorgenommen. Dass es bereits zuvor, beispielsweise im August 2009, Probleme mit der Entrichtung von Beitragszahlungen gegeben hätte, trägt selbst die Klägerin nicht vor.

Damit kann – ausgehend von dem Vortrag der Klägerin selbst, mithin unterstellt, der Beklagte war wie von ihr vorgetragen über die finanziellen Umstände genau Informiert – nicht von ei­ner vorsätzlichen Nichterfüllung der Beitragszahlungspflicht durch den Beklagten ausgegan­gen werden. Einer Beweisaufnahme zu den streitigen Punkten im Zusammenhang mit der finanziellen Situation der (…) AG und einer Einvernahme des Insolvenzverwalters (…) be­durfte es daher nicht.

Ein einmaliges Versagen bei einer Beitragszahlung in der eingeklagten Größenordnung kann nicht einen entsprechenden Vorsatz des Beklagten begründen, auch nicht aber eine Vorver­lagerung des Verschuldensvorwurfs in Gestalt eines mangelhaften Kontroll-/Organisationsverschuldens.

Es ist von der Klägerin nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, wie für den Beklagten er­kennbar gewesen sein sollte, dass die verhältnismäßig geringe Summe von lediglich 2.340,24 EUR Ende September – zumal direkt nach dem Anteilskauf der (…) AG – nicht be­zahlt werden würde. Allein ein negativer Jahresüberschuss; reicht dazu ebenso wenig aus wie das Erkennen von finanziellen Schwierigkeiten. Denn eine Maßnahme gegen finanzielle Probleme ist ersichtlich die Suche nach finanzkräftigen Partnern und eine Darlehensauf­nahme, hier in Form des Anteilskaufs in Kombination mit dem Sanierungsdarlehen durch die (…) AG. Das Sanierungsdarlehen in der Größenordnung von 4,5 Millionen Euro war auch zum Ausgleich des Jahresüberschusses von August 2009 mehr als ausreichend. Damit sollte die Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in der hier streitigen Größenordnung ohne weiteres abgedeckt sein. Die Auszahlung von den 4.500.000,00 EUR erfolgte auch nach dem Vortrag der Klägerin: – wiederum in Übereinstimmung mit den Fest­stellungen in dem Insolvenzgutachten am 29.09.2009 und somit in unmittelbarer Nähe zu dem Fälligkeitstermin der streitgegenständlichen Beitragszahlungen.

Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass der Beklagte nach seinem Vortrag nur für den Vertrieb zuständig war, er sich zudem regelmäßig trotz seiner durch ein Attest nachgewiese­nen Arbeitsunfähigkeit über die Finanzlage durch Gespräche mit den weiteren Vorstandsmit­gliedern, insbesondere aber auch mit dem Finanzvorstand (…) und dem bis zu seiner Abset­zung Vorstandsvorsitzenden (…) informiert hatte und auch Belege, Kontoauszüge eingese­hen hatte. Er hat hierzu detailliert Ausführungen gemacht und diese auch unter Protest ge­gen die Beweislast unter Zeugenbeweis gestellt. Beispielsweise trägt der Beklagte vor, er habe die Informationen erhalten, dass die (…).AG ihre laufenden Verpflichtungen erteilt habe.

Es seien auch im September 2009 alle Rechnungen gezahlt worden. Noch am 24.09.2009 seien keine Engpässe betreffend die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge für den Monat September 2009 ersichtlich gewesen, Er selbst habe keinen Kontozugang gehabt. Der Finanzvorstand (…) habe Anfang Oktober 2009 festgestellt, dass sein Kontozugang gesperrt worden sei durch die (…) AG, die ihm versichert habe, sich um alle rechtlichen Verpflichtun­gen zu kümmern.

Das bloße Bestreiten der Klägerin hierzu genügt nicht, da die Klägerin – wie oben ausgeführt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen des nach Ihren Behauptungen verletzten Schutzgesetzes trägt. Sie hätte hierzu eigenen Be­weis anbieten müssen, was – trotz gerichtlichen Hinweises – nicht erfolgt ist. Zu einer noch detaillierteren Darlegung ist der Beklagte im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast nach Auffassung des Gerichts nicht verpflichtet.

Die Rechtsansicht der Klägerin, der Beklagte hätte sich vergewissern müssen, dass die Bei­trage, die im Lastschriftverfahren von der Klägerin eingezogen werden konnten, auch end­gültig im Vermögen der Klägerin verblieben seien und zudem hätte tätig werden müssen, als er davon gehört habe, dass der Finanzvorstand ab dem 1.10.09 angeblich keinen Zugriff mehr auf die Konten gehabt hätte, Oberspannt die Anforderungen für den Beklagten.

Die Kontrolle – notfalls durch Rückfrage bei den Bankinstituten – kann nach Auffassung des Gerichts nur greifen bei konkreten Anhaltspunkten dafür, dass auch nach dem Einstieg der (…) AG eine derart schwere finanzielle Krise der Arbeitgeberin vorlag, dass es zu Schwierigkeiten auch b~1 der Abführung von verhältnismäßig geringfügigen Arbeitnehmer­beiträgen zur Sozialversicherung wie den streitgegenständlichen absehbar kommen wird. Dafür, dass dies hier der Fall war, fehlen auch nach dem Vortrag der Klägerin aber jegliche Anhaltspunkt.

Zu berücksichtigen ist wieder, dass unstreitig allein die Beiträge für den Monat September nicht bezahlt und damit für den vorhergehenden und den nachfolgenden. entrichtet wurden.

Seiner Kontroll- und Überwachungspflicht (in einer finanziellen Krisensituation) hätte der Be­klagte durch die nach seinem Vortrag erfolgten regelmäßigen Gespräche mit dem Finanz­vorstand und den übrigen Vorständen und die Einsichtnahme in Unterlagen/Kontounterlagen genügt. Da die Beweislast bei der Klägerin liegt hätte sie entsprechenden Beweis anbieten müssen für das Vorliegen des Gegenteils.

 

Für eine Kontrolle der, von dem Beklagten behaupteten Aussagen des Finanzvorstands hatte erst Anlass bestanden bei sich aufdrängenden berechtigten Zweifeln an der Richtigkeit der Aussagen, wofür nichts ersichtlich ist.

Es ist auch kein weiterer Fall. von beispielsweise größeren unbezahlten Verbindlichkeiten im

Vorfeld des Fälligkeitstermins dieser Beitragszahlungen Ende September 2009 von der Klä­gerin vorgetragen, der zu einer anderen Beurteilung der Überwachungs-/Organisationspflichten des Beklagten fahren könnte.

 

Ein Tätigwerden des Beklagten nachdem er erfahren hatte, dass der Finanzvorstand keinen Kontenzugriff mehr hatte, dürfte ebenfalls nicht gefordert werden können. Die Klägerin er­wähnt auch nicht, wie denn der Beklagte hier ggf. noch hatte erfolgversprechend tätig wer­den können, wenn selbst der Finanzvorstand keinen Zugang mehr zu Konten hatte. In diesem Zusammenhang Ist ‘auch das enge Zeltfenster zu berücksichtigen, das ihm zur Verfügung stand bis zu dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Offensichtlich haben sich die Ereignisse auch für die (…) AG zum Zeitpunkt des Anteilskaufs und der Darlehensgewährung so nicht vorhersehbar förmlich „überschlagen“. Innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 15 a Abs. 1 InsO ist zudem durch den BGH entschie­den, dass der absolute Vorrang der Beitragsentrichtung nicht besteht und ein Rechtferti­gungsgrund für die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeitragen anzunehmen ist (BGHSt 48,307 ff). Dem Beklagten hätte damit nur ein wenige Tage umfassendes Zeitfenster zur Verfügung gestanden. Zudem Ist vollkommen unklar, wie er denn hätte han­deln/reagieren können sollen, hätte er sofort von der Rocklastschrift erfahren.

Eine weitere Anspruchsgrundlage Ist nicht ersichtlich.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.