BGH 2 StR, Urteil vom 20. 06.2013, Az.: 2 StR 113/13
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BGH 2 StR, Urteil vom 20. 06.2013, Az.: 2 StR 113/13

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kas­sel vom 2. August 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwie­sen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, wovon neun Monate als vollstreckt gelten. Den Angeklagten hat es von dem Vorwurf einer Unter­schlagung freigesprochen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts ge­stützte Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten führt auf eine Verfahrensrüge hin zur Aufhebung der angefoch­tenen Entscheidung.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts arbeitete der Angeklagte seit Beginn des Jahres 2006 bei der Spedition(…). Diese erhielt am 13. Februar 2006 den Auftrag, sechs Paletten Telekommunikationsartikel nach Großbritan­nien zu verbringen. Für den Transport wurde der Angeklagte eingesetzt. Er machte sich nach dem Beladen des zum Fuhrpark der Spedition (…) gehören­den LKW am 13. Februar 2006 gegen 18.00 Uhr auf den Weg in Richtung Großbritannien. Im Fahrzeug befanden sich 3.000 Mobiltelefone der Marke No­kia im Wert von 615.000 € netto. Der Angeklagte fuhr über die Autobahn A 44 in Richtung Niederlande und erreichte nach einigen Pausen und dem Passieren der niederländischen und belgischen Grenze in Kruibeke, kurz hinter Antwer­pen, eine an der E 17 gelegene Tankstelle. Dort betankte er gegen 1.58 Uhr den LKW. In der Zeit danach kam es auf der Strecke zwischen Kruibeke und Mannekensvere zu einer vollständigen Entwendung der Ladung. Dabei ver­schaffte der Angeklagte einem oder mehreren Dritten den Zugang zur Ladeflä­che des LKW, damit diese die geladenen Mobiltelefone an sich nehmen und zueignen konnten. Anschließend wurde der LKW auf dem Gelände der (…) in Gent abgestellt.

Sodann begab sich der Angeklagte zu einer an der E 40 gelegenen Tankstelle in Mannekensvere (Noord), die er gegen 4.30 Uhr betrat, um etwas zu trinken. Kurz vor 5.00 Uhr verließ er den Shop in Richtung der auf dem Gelände be­findlichen Abstellplätze für Kraftfahrzeuge. Wenig später kam er zurück, um dem Kassierer und den später eintreffenden Polizeibeamten der Wahrheit zu­wider mitzuteilen, dass sein angeblich auf dem Parkplatz abgestellter LKW während seines Aufenthalts in der Tankstelle entwendet worden sei.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur veruntreuenden Un­terschlagung verurteilt, da lediglich habe festgestellt werden können, dass er Dritten den Zugang zu Ladung und PKW ermöglicht und damit lediglich eine fremde Tat gefördert habe.

2. Den die Tat bestreitenden Angeklagten, den Vater der Lebensgefährtin des Angeklagten, hat das Landgericht vom Vorwurf einer Beteiligung an der vo­rangehend geschilderten Tat aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Diese sei ihm nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen gewesen. Zwar habe festgestellt werden können, dass vom Mobiltelefon des Angeklagten zu der auf den Angeklagten zugelassenen Rufnummer zwischen 0.39 Uhr und 2.22 Uhr Gespräche stattgefunden hätten und beide Geräte sich zu Zeitpunk­ten zwischen 1.06 Uhr und 3.23 Uhr auf belgischem Gebiet befunden und sich in einer Entfernung von wenigen Kilometern in Richtung Frankreich bewegt hätten. Zu einer Verurteilung hat sich das Landgericht außer Stande gesehen, weil Zweifel verblieben, ob der Angeklagte nicht für den Tatzeitraum das Te­lefon verliehen oder den Anschluss überhaupt erst nach der Tat erstmalig ver­wendet habe. Zudem sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte in Belgien einen völlig anderen, eigenen Zweck abseits einer Tatbeteiligung ver­folgt oder möglicherweise den Angeklagten von dessen Tatbeteiligung abzu­bringen versucht habe.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.

1. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Revisionsgericht hat es zwar regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Das Revisionsgericht kann und muss jedoch eingreifen, wenn dem Tatrichter – wie hier – Rechtsfehler unterlaufen sind.

Der Angeklagte hat eine Tatbeteiligung bestritten und für den Tatabend einen Alibibeweis angetreten, den das Landgericht allerdings als widerlegt erachtet. Hinsichtlich des Mobilfunkanschlusses (…), dessen Verbindungsdaten über einen längeren Zeitraum in der fraglichen Nacht ein synchrones Bewegungsbild zu dem Mobilfunkanschluss des überführten Angeklagten, eine räumliche Nähe zum späteren Auffindeort des Fahrzeugs und schließlich Gespräche zwischen beiden Anschlüssen belegen, hat sich der Angeklagte eingelassen, dieser sei auf ihn zu­gelassen. Gleichwohl hat ihn das Landgericht freigesprochen, weil es nicht habe ausschließen können, dass der Angeklagte das Mobiltelefon zu diesem Zeitpunkt noch nicht genutzt oder es möglicherweise an einen anderen verliehen habe oder – falls er es in Belgien genutzt habe – einen völlig anderen Zweck verfolgt oder möglicherweise den Angeklagten von dessen Tatbeteiligung abzubringen ver­sucht habe. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht damit nicht eher fernliegende Möglichkeiten unterstellt hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen, die dieses Ergebnis stützen könnten (st. Rspr.: vgl. BGH NStZ 2008, 575 mwN). Es gibt keine greifbaren Hinweise für das Vorliegen der in Betracht gezogenen Sachverhaltskonstellationen; selbst der Angeklagte hat sich auf sie nicht berufen.

Fehlen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Sachver­haltsvariante, ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, einen nur abstrakt denkbaren Sachverhalt zugunsten eines Angeklagten zu un­terstellen.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur Unterschlagung begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen des Landgerichts liegt es – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – auf der Hand, dass der Angeklagte sich wegen täterschaftlich verwirklichter Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 2 StGB hinsichtlich der Ladung des LKW in Form einer vom Vorsatz getragenen Drittzueignung strafbar gemacht hat. Im Fall einer Drittzueignung muss das Verhalten des Täters nach der Rechtspre­chung des Bundesgerichtshofs darauf gerichtet sein, dass das Sicherungsgut dem Vermögen des Dritten zugeführt wird. Die Tathandlung muss dabei zu ei­ner Stellung des Dritten in Bezug auf die Sache führen, wie sie auch bei der Selbstzueignung für die Tatbestandserfüllung notwendig wäre (BGH NStZ-RR 2006, 377 =wistra 2007, 18). Das bloße Schaffen einer Gelegenheit für die Selbstzueignung – worauf das Landgericht abgestellt hat – reicht danach zwar nicht aus (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 246 Rn. 11a), doch liegt hier in der besonderen Fallkonstellation in der mit den Dritten abgesprochenen Abstellung des LKW auf einem Parkplatz zu dessen Entladung schon die Einräumung von Verfügungsgewalt über fremde Sachen, die aus der Sicht eines objektiven Dritten einen Zustand schafft, bei dem die nicht fern liegende Möglichkeit der dauernden Enteignung besteht (vgl. Hohmann in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 246 Rn. 44) und damit bereits zu einer eigentümerähnlichen Stellung der dritten Personen führt.

III.

Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Zum Beginn des 4. Hauptverhandlungstags am 6. Juli 2012 um 9.10 Uhr er­schien der Pflichtverteidiger des Angeklagten nicht. Durch sein Büro hatte er über die Geschäftsstelle mitteilen lassen, sich wegen Herzrhythmusstörungen in ärztliche Behandlung begeben zu müssen, aber davon auszugehen, ab 11.00 Uhr an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung um 9.12 Uhr unterbrochen und schließlich um 11.10 Uhr fortgesetzt. Zwischenzeitlich hatte das Büro des Pflichtverteidigers des Angeklagten mitgeteilt, dass dessen Einlieferung in eine Klinik notwendig ge­worden sei und er am heutigen Tag nicht mehr erscheinen werde. Für die Hauptverhandlung am 6. Juli 2012 war -als Folge eines Beweisermittlungsan­trages des Verteidigers des Angeklagten – die Vernehmung des belgischen Po­lizeibeamten (…) vorgesehen. Um ihm eine erneute Anreise an einem der folgenden Hauptverhandlungstermine zu ersparen, bemühte sich die Straf­kammer um einen anderen Verteidiger für den Angeklagten, den sie ihm für diesen Hauptverhandlungstag als Pflichtverteidiger beiordnete. Es bestand Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit dem Angeklagten, der keine Ein­wände gegen das Vorgehen erhob. Akteneinsicht in die Verfahrensakte nahm der neue Pflichtverteidiger nicht. Sodann wurde der Zeuge (…) in Anwesen­heit einer Dolmetscherin vernommen, wobei seine Aussage auf Antrag des Verteidigers des Mitangeklagten wörtlich protokolliert worden ist. Fragen an den Zeugen richtete der „neue” Verteidiger des Angeklagten nicht. Die Haupt­verhandlung wurde um 12.05 Uhrgeschlossen. An den folgenden Hauptver­handlungsterminen nahm wieder der „alte” Pflichtverteidiger des Angeklagten die Verteidigung des Angeklagten wahr. Ein von ihm gestellter Antrag auf er­neute Vernehmung des Zeugen (…) lehnte die Strafkammer nach Maßgabe des § 244 Abs. 5 StPO ab.

2. Dieses Vorgehen steht nicht in Einklang mit § 145 Abs. 1 Satz2 StPO und stellt eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung dar, auf der das Urteil auch beruhen kann.

a) Dem Revisionsvorbringen des Angeklagten, „unverteidigt” gewesen zu sein, ist zugleich die Beanstandung zu entnehmen, das Landgericht habe es unterlassen, anlässlich der Erkrankung des Verteidigers die diesen Verhandlungstag vorgese­hene Vernehmung des Zeugen (…) nicht auf den nächsten Verhandlungstag verschoben zu haben. Damit zielt die Rüge ihrer Zielrichtung nach jedenfalls auch auf eine Verletzung von § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO.

b) § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO sieht vor, dass das Gericht auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen kann, wenn der Verteidiger in der Hauptverhand­lung ausbleibt. Die Regelung steht in Konkurrenz zu § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO, der für diesen Fall anordnet, dass der Vorsitzende sogleich einen anderen Vertei­diger bestellt. Das Gericht hat also insoweit nach seinem Ermessen zu entschei­den, ob der Vorsitzende einen neuen Verteidiger bestellt oder die Hauptver­handlung ausgesetzt wird. Dabei hat es – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – auch zu prüfen, ob nicht eine Unterbrechung der Hauptverhandlung der ent­standenen Konfliktlage – Kontinuität der Verteidigung oder gegebenenfalls Fort­führung der Hauptverhandlung mit neuem Verteidiger – angemessen Rechnung trägt (LR-Lüderssen/Jahn, 26. Aufl., § 145 Rn. 20: angesichts des verfassungs­rechtlichen Prinzips der Erforderlichkeit im Einzelfall bestehende Verpflichtung zur Unterbrechung). Prüft das Gericht nicht von Amts wegen, ob eine Verhandlung auszusetzen oder zu unterbrechen ist, kann dies die Revision begründen (LR-Lü­derssen/Jahn, aaO, Rn. 41).

aa) Die Literatur geht grundsätzlich davon aus, dass dem Beschuldigten der ein­gearbeitete und vertraute Verteidiger zu erhalten ist und deshalb eine Ausset­zung bzw. Unterbrechung grundsätzlich trotz Verfahrensverzögerung der Vorzug vor einer neuen Bestellung zu geben ist (LR-Lüderssen/Jahn, aaO, Rn. 19; Lauf­hütte in: KK-StPO, 6. Aufl. Rn. 7). So soll ein kurzfristiger Ausfall wegen Erkran­kung des Verteidigers in der Regel zu einer Aussetzung führen (Meyer-Goßner, 55. Aufl., § 145 Rn. 9). Dahinter steht – ohne dass dies im Einzelnen ausgeführt wird – die Erwägung, dass § 145 StPO nicht dem Ziel der Verfahrenssicherung dient, sondern das Recht des Beschuldigten zu einer effektiven und angemesse­nen Verteidigung wahren soll (LR-Lüderssen/Jahn, aaO, Rn. 1).

bb) Der Bundesgerichtshof hat sich bisher nicht weitergehend zur Frage einer Aussetzung bzw. Unterbrechung nach § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO geäußert (vgl. aber BGH MDR 1977, 767). Er hatte sich bisher lediglich damit zu befassen, ob nach einem Wechsel des Verteidigers eine im Sinne von § 265 Abs. 4 StPO ver­änderte Sachlage eingetreten ist, die zur genügenden Vorbereitung der Verteidi­gung eine Aussetzung angemessen erscheinen lässt. Die dort in der Rechtspre­chung entwickelten Grundsätze lassen sich entsprechend auch für die – zeitlich vorangehende – Konstellation des § 145 Abs. 1 StPO nutzen, in der es um die Frage geht, ob bei Ausbleiben eines Verteidigers überhaupt ein neuer Verteidiger beizuordnen ist oder ob nicht stattdessen die Hauptverhandlung auszusetzen bzw. zu unterbrechen ist, um dem Angeklagten die weitere Verteidigung durch den bisherigen Verteidiger zu ermöglichen. In beiden Fällen geht es darum, eine sachgerechte und angemessene Verteidigung des Angeklagten sicherzustellen (so auch knapp BGH MDR 1997, 767, 768 zu § 145 StPO). Dabei steht diese Ent­scheidung in Ausübung der prozessualen Fürsorgepflicht im pflichtgemäß auszu­übenden Ermessen des Gerichts und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. zuletzt BGH NStZ 2013, 212). Maßgeblich ist zunächst die Erwägung, wie der Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege selbst beurteilt, ob er für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet ist. Hält er die Vorbereitungszeit für ausreichend, ist das Gericht grundsätzlich nicht berufen, dies zu überprüfen. Doch gibt es greifbare Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Fall sein könnte, gebietet die Fürsorgepflicht des Gerichts die Prüfung einer Aussetzung oder Un­terbrechung des Verfahrens. Dies ist etwa der Fall, wenn der Verteidiger objektiv nicht genügend Zeit hatte, sich vorzubereiten (vgl. BGH NJW 1965, 2164, 2165) oder wenn sich die dem Prozessverhalten des Angeklagten und seines Verteidi­gers zu entnehmende Einschätzung der Sach- und Rechtslage als evident inte­ressenwidrig darstellt und eine effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3c MRK) unter keinem Gesichtspunkt mehr gewährleistet gewesen wäre (vgl. BGH NStZ 2013, 212).

cc) Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich hier die Beiordnung eines neuen Verteidigers als evident interessenwidrig. Das Landgericht hätte stattdessen die Hauptverhandlung unterbrechen und in einem der Folgetermine den Auslands­zeugen (…) vernehmen müssen. Mit der Beiordnung eines neuen Verteidigers im Termin vom 6. Juli 2012 sind Verteidigungsrechte des Angeklagten in erhebli­cher Weise eingeschränkt worden (vgl. § 338 Nr. 8 StPO). Der neue Verteidiger hat zwar mit dem Angeklagten sprechen können; es liegt allerdings angesichts des Verfahrensablaufs (Unterbrechung der Hauptverhandlung um 9.12 Uhr, Fort­setzung um 11.10 Uhr nach zwischenzeitlicher Mitteilung gegen 10.00 Uhr, dass der alte Verteidiger krankheitsbedingt nicht mehr erscheinen wird) und auch des Aktenumfangs auf der Hand, dass eine Information des neuen Verteidigers, die ihn nur annähernd auf den Stand des Verfahrens hätte bringen können, nicht erfolgt sein kann. Nur ein Verteidiger aber, der den Stoff ausreichend beherrscht, kann die Verteidigung mit der Sicherheit führen, die das Gesetz verlangt (BGHSt 13, 337, 344 unter Hinweis auf RGSt 71, 353, 354). Die Absicht, einem „Aus­landszeugen” die erneute Anreise zu ersparen, kann das rechtsstaatlich gebotene Recht auf eine angemessene und effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3c EMRK) nicht wirksam beschränken, zumal Anhaltspunkte für eine längerfristige Erkran­kung des Pflichtverteidigers offenbar nicht gegeben waren und auch nichts dafür sprach, dass der Zeuge nicht erneut an dem bereits sechs Tage später be­stimmten Fortsetzungstermin erschienen wäre. Im Übrigen ist zu berücksichti­gen, dass es sich um die Vernehmung eines Zeugen handelte, die der Verteidiger beantragt hatte.

Dass der neu beigeordnete Pflichtverteidiger nicht selbst Einwendungen gegen das prozessuale Vorgehen erhoben und einen Antrag nach § 145 Abs. 3 StPO auf Unterbrechung des Verfahrens nicht gestellt hat, kann an diesem Befund nichts ändern. Auf die Einschätzung des neuen Verteidigers, der selbst wohl keine Zweifel gehegt hat, die Verteidigung des Angeklagten sachgerecht führen zu können, kann es bei der besonderen Sachlage nicht ankommen. So war die Su­che nach einem neuen Verteidiger hier von vornherein mit dem Zweck verbun­den, die Vernehmung des aus dem Ausland angereisten Zeugen auf alle Fälle durchzuführen. Ein Verteidiger, der dies abgelehnt hätte, wäre nicht zur Durch­führung des Termins beigeordnet worden; ein Verteidiger, der wie hier ohne weitere Beteiligung in der Sache lediglich formal die Verteidigung übernimmt, ist – was sich auch dem Landgericht aufdrängen musste – erkennbar nicht in der Lage, eine sachgerechte und angemessene Verteidigung des Angeklagten zu übernehmen. Auch dem Umstand, dass der Angeklagte keine Einwendungen ge­gen die Fortsetzung der Verhandlung erhoben hat, kann vorliegend keine maß­gebliche Bedeutung zukommen. Aus dem Regelungsgefüge des § 145 StPO ergibt sich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers dem Angeklagten insoweit keine maßgeblichen Verfahrensrechte eingeräumt worden sind. Ein Antragsrecht nach § 145 Abs. 3 StPO steht lediglich dem Verteidiger zu. Dies ändert zwar nichts daran, dass der Angeklagte gleichwohl eine Erklärung abgeben und evtl. eine Aussetzung nach § 265 Abs. 4 StPO anregen kann. In dem Verzicht auf eine bloße Verfahrensanregung kann allerdings nicht der Schluss gezogen werden, der Angeklagte sei mit dem Vorgehen einverstanden.

dd) Die Entscheidung beruht auch auf dem festgestellten Verfahrensverstoß. Es besteht die konkrete Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs des Verfah­rensverstoßes mit dem angefochtenen Urteil. Wie sich aus dem Antrag auf er­neute Vernehmung des Zeugen ergibt, sollte seine Vernehmung u.a. ergeben, dass der Angeklagte erst bei einem Telefonat nach Entwendung des LKW vom Inhalt der Ladung erfahren hat. Es ist nicht auszuschließen, dass bei einer Ver­nehmung des Zeugen in Gegenwart des durch Krankheit verhinderten Verteidi­gers, der anders als der neu bestellte Fragen oder Vorhalte an den belgischen Polizeibeamten gerichtet hätte, entsprechende Feststellungen hätten getreuen werden können.