Landgericht Kassel, Beschluss vom 04.05.2016, Az. 4 Qs 8/16 = 4710 Js 12160/16 – 230 Ds
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Landgericht Kassel, Beschluss vom 04.05.2016, Az. 4 Qs 8/16 = 4710 Js 12160/16 – 230 Ds

Landgericht Kassel, Beschluss vom 04.05.2016, Az. 4 Qs 8/16 = 4710 Js 12160/16 – 230 Ds

In der Strafsache

gegen (…)

wegen Diebstahls pp.,

 

hier Beschwerde des Zeugen Rechtsanwalt Knuth Pfeiffer,

gegen Ordnungsgeldbeschluss,

hat die 4. Strafkammer des Landgerichts Kassel – als Beschwerdekammer in Jugendstrafsachen – am 4. Mai 2016

beschlossen:

 

Auf die Beschwerde des Zeugen Rechtsanwalt Knuth Pfeiffer wird der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 22.03.2016 aufgehoben, soweit darin ein Ordnungsgeld ersatzweise Ordnungshaft gegen den Zeugen verhängt und ihm die durch seine Weigerung verursachten

Kosten auferlegt wurden.

 

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwenigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatkasse zur Last.

 

Gründe:

 

I

 

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und wurde am 26.02.2015 durch den ehemals gesondert verfolgten (…) mit dessen Verteidigung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Diebstahls im besonders schweren Fall beauftragt. In diesem Verfahren ging es um den zunächst gegen den Mandanten des Beschwerdeführers gerichteten Verdacht, Kraftstoff aus einem Bagger entwendet zu haben.

Im Auftrag seines jegliche Tatbeteiligung leugnenden Mandanten führte der Beschwerdeführer in seinen Kanzleiräumen am 20.04. bzw. 27.04.2015 jeweils „zeugenschaftliche Vernehmungen” der mit seinem Mandanten verwandten (…) bzw. (…) durch, worüber er jeweils ein von den Zeugen unterzeichnetes Protokoll fertigte. Die Protokolle, in denen beide Zeugen jeweils die mittäterschaftliche Begehung des dem Mandanten des Beschwerdeführers zur Last gelegten Delikts einräumten, stellte der Beschwerdeführer anschließend im ausdrücklichen Einverständnis seines Mandanten der Staatsanwaltschaft Kassel zu Verfügung.

 

Mit Verfügung vom 04.08.2015 stellte die Staatsanwaltschaft daraufhin das gegen den Mandanten des Beschwerdeführers geführte Ermittlungsverfahren ein.

 

In dem ursprünglich vor dem Jugendschöffengericht gegen (…) und (…) sodann geführten Hauptverfahren erschien der Beschwerdeführer auf Ladung des Amtsgerichts Kassel als Zeuge am 22.03.2016 zum Hauptverhandlungstermin, verweigerte jedoch die Aussage unter Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht; (…) hatte zuvor ebenfalls die Aussage verweigert.

 

Mit unmittelbar im Anschluss noch in der Hauptverhandlung ergangener Entscheidung vom 22.03.2016 setzte das Amtsgericht daraufhin gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld von 500 EUR, ersatzweise 5 Tage Ordnungshaft fest (Bl. 181 d.A.). Gleichzeitig kündigte das Gericht an, Ordnungshaft nicht verhängen zu wollen, da dies unverhältnismäßig erscheine.

 

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner bereits im Hauptverhandlungstermin eingelegten Beschwerde.

 

Das Amtsgericht hat mit Vermerk vom 29.03.2016 (Bl. 182 d.A.) der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt.

 

Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 26.04.2016 hat der Beschwerdeführer seine Beschwerde begründet (Bl. 186 ff. d.A.). Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, er sei als Verteidiger gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO zur Zeugnisverweigerung über alles berechtigt, was ihm in dieser Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden ist. Daher verkenne das Amtsgericht in seinem Ordnungsgeldbeschluss die Tragweite der anwaltlichen Verschwiegenheit bzw. das Schweigerecht des Verteidigers. Darüber hinaus sei auch nicht berücksichtigt worden, dass auch sein Mandant gegenüber dem Angeklagten (…) über ein Aussageverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO verfüge.

 

II.

 

Die nach § 304 statthafte Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen unter denen das Amtsgericht dem Beschwerdeführer zu Recht gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 StPO die durch die Zeugnisverweigerung verursachten Kosten hätte auferlegen und gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 StPO ein Ordnungsgeld hätte verhängen können, liegen nicht vor, weil der Beschwerdeführer das Zeugnis zu Recht verweigert hat.

 

Tatsächlich ist der Beschwerdeführer zunächst als Verteidiger des (…) tätig geworden, so dass sämtliche Informationen oder Erkenntnisse, die er von seinem Mandanten oder im Zusammenhang mit dem Mandat anvertraut bekommen hat oder die ihm insoweit bekannt geworden sind dem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 unterfallen. Dies gilt grundsätzlich auch uneingeschränkt für sämtliche Erkenntnisse, die der Beschwerdeführer bei der Befragung der beiden Verwandten des Mandanten, den späteren Angeklagten (…) und (…), zu diesem Tatsachenkomplex erlangt hat.

 

Dementsprechend ist der Beschwerdeführer auch grundsätzlich zur Zeugnisverweigerung über diesen Tatsachenkomplex gemäß §§ 53, Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO berechtigt.

 

Anders wäre dies nur, wenn in dem Umstand, dass der Beschwerdeführer in Kenntnis der ihm aus dem Mandatsverhältnis erwachsenen Rechte in Absprache mit seinem Mandanten die grundsätzlich dem Zeugnisverweigerungsrecht unterfallenden Erkenntnisse und Informationen nicht nur bewusst aufgezeichnet sondern darüber hinaus auch diese Unterlagen bewusst und in Ansprache mit dem durch das Zeugnisverweigerungsrecht geschützten Mandanten der Strafverfolgungsbehörde zugänglich gemacht hat, eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht durch den von der Pflicht zur Verschwiegenheit gesetzlich geschützten Mandanten läge, die ohne weiteres auch durch schlüssiges Verhalten möglich ist [vgl. Gercke in: Gercke/Julius/Temming u.a., Strafprozessordnung, 5. Aufl. 2012, § 53 Rn. 41]. Durch das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 S. Nr. 2 StPO wird das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem geschützt [vgl. Gercke/Julius/Temming, aaO. § 53 Rn. 11], wobei grundsätzlich das gesamte Verhältnis zwischen Verteidiger und Mandanten durch § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO, flankiert durch § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB, davor geschützt ist, dass der Verteidiger gegen den Willen des Mandanten über in diesem Zusammenhang von ihm gewonnene Erkenntnisse als Zeuge aussagen muss („besonders geschützter Freiraum”). Jedoch folgt daraus nicht, dass der Angeklagte, der sich von einer solchen Aussage Wesentliches für seine Verteidigung verspricht, nicht wirksam auf diesen Schutz verzichten darf, indem er den Verteidiger von seiner Schweigepflicht befreit [vgl. BGH, 1. Strafsenat, Beschluss vom 24. November 2009, 1 StR 520/09 – JURIS Rn.13f. m.w.N.].

 

Unabhängig davon, ob in einer Erklärung oder konkludent in einem Verhalten des Trägers des Geheimhaltungsinteresses eine Entbindung im Sinne von § 52 Abs. 2 S.1 StPO liegt, wirkt eine entsprechende Entbindung jedenfalls immer nur in dem Verfahren, in dem sie abgegeben wurde (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 53 Rn. 47).

Demnach kann im Ergebnis letztlich dahinstehen, ob der Mandant des Beschwerdeführers diesen wirksam konkludent von der Verschwiegenheit entbunden hat, indem er ihn beauftragte im Rahmen des Verteidigungsmandats erlangte Kenntnisse zu protokollieren und an die Ermittlungsbehörden weiterzuleiten, da dies jedenfalls in dem gegen den Mandanten geführten Ermittlungsverfahren und nicht in dem erst als Reaktion hierauf gegen die hiesigen Angeklagten eingeleiteten Verfahren geschah.

Im vorliegenden Verfahren fehlt es demnach an einer wirksamen Entbindung.

Die vom Amtsgericht zur Begründung angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft eine andere Sachverhaltskonstellation.

 

Ergänzend sei angemerkt, dass in vergleichbaren Konstellationen die Staatsanwaltschaft in Betracht kommende Entlastungszeugen zukünftig vor einer Einstellungsentscheidung polizeilich oder ggf. richterlich vernehmen lassen sollte.

 

III

 

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.

 

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