LG Kassel, Urteil vom 28.12.2010, Az.: 9031 Js 4726/10
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LG Kassel, Urteil vom 28.12.2010, Az.: 9031 Js 4726/10

Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 24.08.2010 dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von

1 Jahr und 10 Monaten

verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

 

Gründe

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 24.08.2010 ist der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung -Vergehen nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 22. Alt. StGB – zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 27.08.2010,bei dem Amtsgericht am gleichen Tag eingegangen, form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit Schreiben vom 20.09.2010 auf das Strafmaß beschränkt und ausgeführt, dass die Strafe zu milde sei. Eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und 6 Monaten erscheine das Mindeste, um den Unrechtsgehalt der Tat zumindest einigermaßen zu sühnen.

Auch die Nebenklägerin hat mit Schreiben vom 30.08.2010, bei dem Amtsgericht am 31.08.2010 gegen das in ihrer Gegenwart verkündete Urteil form- und fristgerecht, mithin zulässig, Berufung eingelegt und diese mit Schreiben vom 18.11.2010 damit begründet, dass der Angeklagte wegen vier Tathandlungen und nicht nur wegen einer hätte verurteilt werden müssen. Deshalb – so der Nebenklägervertreter – sei eine Strafe von 2 Jahren und 9 Monaten die tat- und schuldangemessene Reaktion auf die Tat des Angeklagten.

Beide Rechtsmittel hatten Erfolg, jenes der Nebenklägerin aber in geringerem Umfang als erstrebt.

II.

Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und seiner Vorbelastungen haben sich in der Berufungshauptverhandlung aufgrund der Einlassung des Angeklagten und des erörterten Strafregisterauszuges folgende Feststellungen ergeben:

Der jetzt 28-jährige Angeklagte wurde am (…) in Kassel geboren.

Sein Vater ist von Beruf (…), derzeit schon Rentner. Die Mutter ist (…).

Der Angeklagte wuchs neben einem älteren Bruder und einer älteren Schwester im elterlichen Haushalt auf.

Nach Absolvierung der Grund- und der Realschule erlangte er die Mittlere Reife.

In den Jahren 2000 bis 2004 erlernte er bei der Firma (…) in Kassel erfolgreich den Beruf eines Industriemechanikers.

Nach Abschluss seiner Lehre besuchte er noch eine Technikerschule und ist seit 3 Jahren in einer Kasseler Firma als Konstrukteur im Maschinenbau tätig.

Sein monatlicher Nettoverdienst beträgt ca. 1.900,00 Euro.

Der Angeklagte hat am (…) geheiratet, seine ebenfalls in (…) geborene türkische Ehefrau absolviert eine Ausbildung als Arzthelferin und erhält eine Ausbildungsbeihilfe von monatlich 300,00 Euro.

Kinder sind aus der Ehe bisher nicht hervorgegangen.

Strafrechtlich ist der Angeklagte noch nicht in Erscheinung getreten.

III.

In der Sache selbst ließen sich aufgrund der Einlassung des Angeklagten, derAussage der Zeugin und Nebenklägerin (…), sowie der verlesenen ärztlichen Atteste und der erörterten Schreiben des Verteidigers folgende Feststellungen treffen:

Am 28.12.2009 gegen 13.30 Uhr traf die 30-jährige Zeugin und Nebenklägerin (…), welche zu diesem Zeitpunkt als Mitarbeiterin des (…) der Stadt Kassel für die Ausstellung und Verlängerung von Anwohnerparkausweisen zuständig war, erstmals auf den Angeklagten. Der Angeklagte stand vor dem Gebäude (…), dem sog. (…) Haus, in dem das (…) untergebracht ist und schaute auf das amtliche Schild des (…) der Stadt Kassel. Auf die Frage der Zeugin (…), ob sie ihm helfen könne, antwortete der Angeklagte, dass er seinen Parkausweis verlängern lassen wolle. Daraufhin fragte die Zeugin (…) den Angeklagten, ob sich an seiner Wohn- und Parksituation etwas verändert habe.

Nachdem der Angeklagte diese Frage verneint hatte, sagte die Zeugin dem Angeklagten, dass sie dann für die Bearbeitung seines Anliegens lediglich seinen Parkausweis und seinen Personalausweis benötige und dass er am nächsten Morgen um 8.30 Uhr mit diesen Dokumenten wiederkommen könne. Dann verabschiedete sie sich von dem Angeklagten. Am 29.12.2009, einem Dienstag,gegen 8.30 Uhr schloss die Zeugin(…) dann die Tür für das Publikum auf.

Der Angeklagte kam gemeinsam mit einer Kopftuch tragenden jungen Frau, wahrscheinlich seiner Ehefrau, in das Büro der Zeugin (…). Diese bat ihn, Platz zu nehmen. Von der Begegnung am Tag zuvor wusste die Zeugin, dass der Angeklagte seinen Parkausweis verlängern lassen wollte. Sie fragte ihn nach seinem Personalausweis, den er ihr auch überreichte. Als sie die auf dem Personalausweis befindliche Adresse mit der in ihrer Datei verglich, fiel ihr auf, dass die Adresse des Angeklagten sich geändert hatte. Er wohnte in einer an deren Straße in Kassel als in ihrer Datei ausgewiesen. Sie fragte ihn deshalb, ob er umgezogen sei. Dies bejahte der Angeklagte, sagte aber auch, dass sich der Bezirk, in dem die Parkausweise gelten, nicht verändert habe. Er sei nur eine Straße weiter gezogen. Dies war zutreffend. Daraufhin erklärte ihm die Zeugin, dass er nach den Bestimmungen der Stadt Kassel bei jedem Wohn Wechsel, auch in demselben Bezirk, einen Neuantrag stellen müsse und den Wohnungswechsel ausweislich der Bestimmungen der Stadt Kassel auch mit teilen müsse. Ferner müsse er eine Wohnbescheinigung des Vermieters vorlegen.

Der Angeklagte erwiderte, dass er diese Bescheinigung erst am nächsten Tag vorlegen könne und bat mit der Begründung, dass es auf einen Tag ja nicht an komme, um eine ausnahmsweise vorzeitige Ausstellung des Parkausweises.

Als die Zeugin (…) erwiderte, dass sie diesem Anliegen nicht nachkommen könne, verließ der Angeklagte zunächst das Büro der Zeugin, um die geforderten Unterlagen zu bringen.

Ca. eine halbe Stunde später kehrte der Angeklagte in das Büro der Zeugin zurück, brachte allerdings nur seinen Mietvertrag mit der Wohnstadt mit.Die weiterhin erforderliche Vermieterbescheinigung – so damals der Angeklagte – könne er erst am nächsten Tag vorweisen. Der Angeklagte begehrte nun mehr weiterhin eine Ausnahme für sich und forderte die Zeugin auf, ihm trotz der fehlenden Vermieterbescheinigung einen Parkausweis zu geben. Als die Zeugin (…) ihm daraufhin erwiderte, dass dies die Vorschriften nicht zuließen, weil sie zunächst alle Unterlagen einsehen müsse, bevor sie ihm einen neuen Ausweis ausstellen könne, beharrte der Angeklagte auf seinem Anliegen eine vorzeitige Parkausweisausstellung, verließ dann aber trotzdem das Büro der Zeugin. Kurz nach 10.30 Uhr tauchte der Angeklagte dann plötzlich wieder im Büro der Zeugin auf.

Die Zeugin war gerade in einem Telefonat begriffen und bat den Angeklagten, Platz zu nehmen. Die Zeugin beendete dann ihr Telefonat und wandte sich dem Angeklagten zu.

Der Angeklagte schrie die Zeugin nunmehr an, dass sie ihm sofort einen Parkausweis geben solle, ansonsten würde etwas passieren. Die Zeugin erwiderte ihm, dass sie sich in diesem Tonfall nicht mit ihm unterhalte. Der Angeklagte geriet nun in zunehmende Erregung und schrie, dass ihm dieses „scheißegal” sei, er wolle jetzt sofort seinen Parkausweis. Als die Zeugin daraufhin sagte, dass sie ihn hinausbitten müsse, wenn er sich weiterhin in dieser Art und Weise verhalten würde, antwortete er, dass die Zeugin dies doch einmal versuchen solle.

Die Zeugin (…) stand nunmehr auf, um dem Angeklagten die Tür zu öffnen und ihn hinauszuweisen. Als sie im Begriff war, zu der Tür zu gehen, versetzte der Angeklagte der Zeugin einen Stoß, so dass sie mit dem Kopf auf ihren Schreibtisch fiel und unmittelbar danach auf den Fußboden. Sie stand nun wie der auf und wollte zum Telefon greifen, um einen Kollegen zu Hilfe zu rufen. Als sie zum Telefon griff, versetzte der Angeklagte der Zeugin einen Schlag in das Gesicht. Die Zeugin versuchte, sich mit Abwehrbewegungen der Hände zur Wehr zu setzen, dies versetzte den Angeklagten aber in noch größere Erregung und er schlug nunmehr mit den Fäusten auf die Zeugin ein, so dass sie wieder um auf den Fußboden fiel. Während sie dort lag, trat der Angeklagte mehrmals mit seinen beschuhten Füßen auf die Zeugin ein, und zwar im Bauchbereich. Als die Zeugin um Hilfe schrie, rief der Angeklagte laut „Ja, jetzt schreist du”, und versetzte der Zeugin weitere Fußtritte in den Bauchbereich. Der Zeugin gelang es nunmehr, noch einmal aufzustehen und den Versuch zu unternehmen, sich ebenfalls mit Tritten zu wehren. Allerdings traf sie den Angeklagten nicht. Daraufhin wurde der Angeklagte noch wütender und schlug die Zeugin mehrmals mit den Fäusten in das Gesicht. Die Zeugin fiel deshalb wieder auf den Fußboden und war einen kurzen Moment benommen. Zu diesem Zeitpunkt verließ der Angeklagte das Büro der Zeugin (…). Als sie wieder zu sich kam, erhob sich die Zeugin (…) und ging zu einem Kollegen, der sich im Anschluss um sie kümmerte und den Rettungsdienst und die Polizei verständigte.

Die Zeugin (…) erlitt durch die Faustschläge des Angeklagten gegen ihren Kopfeinen doppelten Unterkieferbruch, Kieferwinkel rechts, paramedian links. Weiterhin trug sie eine Gehirnerschütterung und multiple Prellungen davon.

Der Rettungsdienst brachte sie in die Gesichts- und Kieferchirurgie, wo ihr zu nächst Drähte durch den Kiefer gelegt wurden. Am nächsten Tag wurde sie operiert. In der Folge konnte sie 3 Monate lang nicht essen, die Nahrung nur durch einen Strohhalm zu sich nehmen. Im Rahmen ihres stationären Klinikaufenthaltes nach der Operation erlitt die Zeugin(…) Panikzustände, welche mit Benzodiazepinen therapiert wurden.

Nach der stationären Behandlung begab sie sich in psychologische Betreuung, sie konnte vor massiver Angst nicht auf die Straße gehen. Sie konnte von Vellmar, ihrem Wohnort, nicht nach Kassel fahren und fühlte sich ständig beobachtet. Sie hatte Alpträume und war extrem schreckhaft. Bei der Operation waren Platten in den Kiefer eingebracht worden, die dann später entfernt wurden. Bei der Entfernung bildete sich eine Entzündung, mit der Folge, dass sie mehrere Tage lang ambulant ins Krankenhaus zum Spülen musste. Sie hat bis zum heutigen Tage Zahnschmerzen und kann nicht alles essen. Bei harten Speisen verspürt sie einen Druckschmerz.

Demnächst soll zur Verbesserung dieses Zustandes eine Zahnspange eingesetzt werden.

Am 15.03.2010 hatte die Zeugin zunächst wieder begonnen zu arbeiten, jedoch nicht mehr an ihrem alten Arbeitsplatz. Sie ist nun im Steueramt der Stadt Kassel im Rathaus in einer Abteilung eingesetzt, in welcher zwar auch Publikums verkehr besteht, in der aber auch immer andere Kollegen anwesend sind. Im Rahmen dieser Tätigkeit musste sie komplett neu angelernt werden, hatte auch Schwierigkeiten mit ihrem neuen Chef.

Danach wurden die psychosomatischen Störungen der Angeklagten wieder so erheblich, dass sie sich wiederum in ärztliche Behandlung und Betreuung begeben musste. Während sie unmittelbar nach dem Vorfall vom 26.01. bis zum 29.04.2010 in psychotherapeutischer Behandlung bei der Ärztin (…)  befand, musste sie am 27. Juli 2010 in die Psychosomatische Medizinklinik für Akutpsychosomatik Am (…) eingewiesen werden.

Dort befand sie sich dann bis zum 24.09.2010.

In dem Bericht der Klinik ist ausgeführt, dass das traumatische Erleben im Dezember 2009 für den Zustand der Zeugin ursächlich sei. Sie habe auf dieses Ereignis mit Angstgefühlen reagiert. Während der Behandlung sei sie ruhiger, bodenständiger und weniger ängstlich und auch ausgeglichener geworden. Sie habe die Klinik deutlich gestärkt verlassen, eine gewisse Zeit der ambulanten Weiterbehandlung sei zu empfehlen.

Seitdem 15.11.2010 arbeitet die Zeugin wieder, zunächst allerdings nur 2 Stunden am Tag. Diese Tätigkeit der Zeugin soll allmählich aber wieder auf eine Vollzeitbeschäftigung ausgedehnt werden.

Der Angeklagte hat sich ganz erheblich um Wiedergutmachung gegenüber der Zeugin (…) bemüht.

Durch Schreiben vom 01.03.2010 hat der Verteidiger des Angeklagten den Nebenklägervertreter mitgeteilt, dass der Angeklagte interessiert sei, außergerichtlich mit der Zeugin(…) in Kontakt zu treten. Er beabsichtige, sich zu entschuldigen. Die Entschuldigung werde umfangreich und großzügig sein. Der Angeklagte sei bemüht, so gut es geht, den verursachten Schaden zu reparieren. Er bat den Verteidiger, ihm mitzuteilen, ob grundsätzlich eine Bereitschaft zu einer Versöhnung bestehe.

In einem weiteren Schreiben vom (…) hat der Verteidiger dem Nebenklägervertreter mitgeteilt, dass der Angeklagte vollumfänglich geständig sei. Der Angeklagte sei auch zu Schmerzensgeldzahlungen bereit und habe bereits einen Vorschuss von 500,00 Euro überwiesen. In diesem Schreiben werden dann im Weiteren Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 500,00 Euro pro Monat angeboten.

Der Angeklagte habe im Weiteren auch bereits Schadensersatzleistungen an den Arbeitgeber der Zeugin (…) aufgenommen, was in der Tat zutreffend ist.

In einem weiteren Schreiben im Juli 2010 wandte sich der Angeklagte persönlich an die Klägerin und schrieb ihr folgenden Brief:

Sehr geehrte Frau (…),

ich möchte Ihnen aufs tiefste mein Bedauern und meine Bestürzung ausdrücken. Es tut mir unheimlich Leid, dass Sie wegen meiner unerklärlichen Handlung Schmerzen erleiden mussten und sicherlich noch erleiden.

Mir erging und ergeht es nicht anders. Ich wünschte diesen Tag hätte es in meinem Leben nie gegeben.

Wenn Sie mich danach fragen wie so etwas passieren konnte, werde ich Ihnen keine vernünftige Antwort geben können. Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nicht, was zu dem Zeitpunkt mit mir geschehen ist.

Ich entschuldige mich bei Ihnen in aller Form für das zugefügte Unrecht und kann Sie nur darum bitten, meine Entschuldigung zu akzeptieren.

Ich werde versuchen, mit allen mir zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln Ihren Schaden und Ihre Schmerzen – soweit es geht – wieder gutzumachen.

Ich hoffe, ich darf mit freundlichen Grüßen verbleiben

Unterschrift

(…)

Er ließ der Nebenklägerin überdies einen Blumenstrauß zum Preis von 30,00 Euro zukommen.

Der Angeklagte hat bis zur Berufungshauptverhandlung an die Zeugin (…) 1.950,00 Euro gezahlt, an den Arbeitgeber der Zeugin (…), der Stadt Kassel, 1.350,00 Euro und an die Unfallkasse Hessen 450,00 Euro.

Die bisher aufgelaufene Gesamtschuld beträgt 18.544,22 Euro.

Durch ein notarielles Schuldanerkenntnis mit Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung vom 23.09.2010 hat der Angeklagte ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 6.000,00 Euro anerkannt.

Durch eine notarielle Urkunde gleichen Inhalts vom 23.09.2010 hat der Angeklagte gegenüber der Unfallkasse Hessen einen Betrag in Höhe von 7.732,91 Euro anerkannt und ebenfalls durch notarielle Urkunde vom 23.09.2010 gegenüber der Stadt Kassel über einen Betrag von 3.611,31 Euro.

Nicht nur sein letztes Wort in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung nutzte der Angeklagte für eine Entschuldigung, das Gleiche geschah auch in der Berufungshauptverhandlung.

In der Berufungshauptverhandlung wurde aber auch ersichtlich, dass der Angeklagte Schwierigkeiten hat, sein Anliegen zu verbalisieren.

Der Rechtsvertreter der Nebenklägerin und diese selbst haben in der Berufungshauptverhandlung erklärt, dass sie auf die Versöhnungsbemühungen des Angeklagten bisher nicht reagiert hätten, dies werde gegebenenfalls nach der Berufungshauptverhandlung geschehen. Der Verteidiger des Angeklagten ist bemüht, einen Täter-Opfer-Ausgleich i.S.d. § 46a StGB zu erzielen.

IV.

Der vorstehende Sachverhalt ergibt sich aus den Einlassungen des Angeklagten und ausweislich der nach der Sitzungsniederschrift durchgeführten Beweisaufnahme.

Der Angeklagte ist in vollem Umfang geständig, hat den Ablauf des Geschehens, der auch auf der Aussage der Zeugin(…) beruht, nicht nur nicht in Abrede gestellt, sondern ausdrücklich bestätigt, dass die Zeugin (…) den Ablauf des Geschehens zutreffend dargestellt habe und er die Tat zutiefst bereue.

Die Verletzungen der Zeugin ergeben sich aus den vorgelegten und gelesenen ärztlichen und therapeutischen Bescheinigungen, sowie auf dem allerdings ein seitigen Briefwechsel des Verteidigers mit der Zeugin (…) und dem Nebenklägervertreter, der von dem Verteidiger und dem Angeklagten vorgetragen worden und von dem Nebenklägervertreter und der Nebenklägerin bestätigt worden ist.

V.

Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Angeklagte sich einer gefährlichen Körperverletzung – Vergehen nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB- schuldig gemacht. Die von ihm begangene Körperverletzung geschah durch ein gefährliches Werkzeug, nämlich seinen mit Straßenschuhen versehenen Füßen.

Entgegen der Ansicht der Nebenklage konnte die Kammer in dem Handlungsablauf der Tätlichkeiten des Angeklagten gegenüber der Zeugin (…) nicht mehrere Taten erkennen, wie es der Nebenklägervertreter gemeint hat.

Zur Überzeugung der Kammer handelt es sich um ein tateinheitliches Geschehen in Form einer natürlichen Handlungseinheit.

Dies ist nach ständiger Rechtsprechung immer dann der Fall, wenn zwischen mehreren Handlungen ein unmittelbarer enger, räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, der das gesamte Verhalten objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheinen lässt. Dies ist ins besondere dann der Fall, wenn die einzelnen Handlungen, die nach der Lebensauffassung als ein Ganzes erscheinen, auf einen einheitlichen Willensentschluss zurückgehen und damit auch Ausdruck eines einheitlichen Willens sind.

Dies ist vorliegend in nahezu klassischer Weise der Fall.

Die Kammer konnte auch die Voraussetzungen einer schweren Körperverletzung nach § 226 StGB nicht erkennen. Infrage gekommen wäre vorliegend ohnehin nur die Variante des Verfallens in Siechtum, geistige Krankheit oder Behinderung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Hiernach ist es zwar nicht erforderlich, dass der Verletzte etwa für dauernd an das Bett gefesselt ist oder dass sein Zustand überhaupt unheilbar ist. Es genügt vielmehr, dass sich nicht absehen lässt, ob und wann ein chronischer Krankheitszustand beseitigt werden kann, der allerdings ein erhebliches Ausmaß erreicht haben muss (vgl. BGH MDR 1968 S. 17).

Ein solcher Grad einer dauerhaften Beeinträchtigung ist vorliegend zur Überzeugung der Kammer noch nicht erreicht.

VI.

§ 224 StGB eröffnet einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren.

ln minder schweren Fällen ist der Strafrahmen Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren.

Einen solch minder schweren Fall konnte die Kammer nicht erkennen.

Zwar ist der Angeklagte geständig und einsichtig. Er bereut das gesamte Geschehen auch über alle Maßen und hat sich in ganz erheblichem Maße zur Wiedergutmachung bereit erklärt. Unter Berücksichtigung seiner finanziellen Verhältnisse hat der Angeklagte dies bzgl. nahezu alles getan, was er überhaupt machen kann.

Es ist auch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bisher in keiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Dies alles spricht in erheblichem Maße für ihn.

Andererseits muss bedacht werden, dass die Folgen der Tat für die Zeugin (…) äußerst erheblich war.

Die Zeugin (…) hat schwere Verletzungen erlitten, die auch zu einer jedenfalls lang anhaltenden psychischen Beeinträchtigung der Zeugin geführt haben.

Im Weiteren musste die Kammer auch berücksichtigen, dass sich die Tätlichkeit in einem öffentlichen Amt gegenüber einer städtischen Bediensteten ereignet hat.

Gerade in solchen Räumlichkeiten ist darauf zu achten, dass der Umgang zwischen staatlichen Bediensteten und Bürgern nicht verroht.

In einer Abwägung all dieser Umstände konnte die Kammer deshalb einen minder schweren Fall nicht erkennen.

Die Kammer hat auch von einer Milderung gem. §§ 49, 46a StGB abgesehen.

Gemäß § 46a StGB kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB mildern, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gutgemacht hat oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt.

Zwar liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht ganz fern, denn der Angeklagte hat – wie oben dargestellt – unter Berücksichtigung seiner finanziellen Möglichkeiten bereits erhebliche Leistungen erbracht, hat insbesondere Schmerzensgeld gezahlt, hat sich persönlich entschuldigt, hat der Zeugin einen Brief geschrieben und auch Blumen geschickt.

Grundsätzlich muss nach dem Grundgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs aber eine von beiden Seiten akzeptierte und ernsthaft mitgetragene Regelung erfolgen. Zwar kann die fehlende Einwilligung des Opfers im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB dann unerheblich sein, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Wiedergutmachung der Tat ernsthaft erstrebt hat, dies aber nicht möglich ist, weil das Opfer eine Mitwirkung vermeidet (BGH NJW 2002, S. 3264).

Vorliegend haben die Nebenklägerin der Nebenklägervertreter die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs entschieden in Abrede gestellt.

Die Kammer sieht zwar, dass der Angeklagte bisher viel getan hat, um zu einem Ausgleich mit der Zeugin (…) zu gelangen. Andererseits bestehen seine persönlichen Bemühungen bisher lediglich aus einem einzigen Brief, den er an die Zeugin geschrieben hat und einem Blumenstrauß.

Zwar hat die Kammer im Rahmen der Strafzumessung im Übrigen die Bestrebungen des Angeklagten, zu einem Ausgleich mit der Zeugin zu gelangen, als durchaus erheblich angesehen und deshalb auch auf eine Freiheitsstrafe erkannt, deren Vollstreckung bewährungsfähig ist.

ln Würdigung aller Umstände hat die Kammer aber dennoch eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten als tat- und schuldangemessen und für einen gerechten Schuldausgleich als erforderlich angesehen.

Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56 StGB konnte dem Angeklagten gewährt werden.

Gemäß § 56 Abs. 1 StGB ist Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich dann möglich, wenn bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Eine solch günstige Sozialprognose besteht bei dem Angeklagten ohne weiteres.

Er ist bisher strafrechtlich in keiner Weise in Erscheinung getreten. Seine persönlichen Lebensverhältnisse sind geordnet, der Angeklagte ist sozial eingebunden. Er geht einer regelmäßigen Arbeit nach, versorgt seine Ehefrau.

Der Angeklagte hat sich auch in erheblichem Maße bemüht, die Folgen seiner Tat gut zumachen. Eine Tat dieser Art ist ganz offensichtlich im Leben des An geklagten ein singuläres Ereignis. Daher ist ohne weiteres von einer günstigen Sozialprognose auszugehen.

Gemäß § 56 Abs. 2 kann das Gericht unter den Voraussetzungen des Abs. 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die 2 Jahre nicht übersteigen darf, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei dieser Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wieder gut zumachen, zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Der Angeklagte ist in vollem Umfang geständig, einsichtig und reuig. Die Tat stellt sich als singuläres Ereignis dar, das dem bisherigen Lebensweg des Angeklagten überhaupt nicht entspricht. Er hat erhebliche Bemühungen unternommen, um den durch ihn verursachten Schaden wiedergutzumachen.

Wenngleich die Folgen der Tat für die Zeugin (…) sehr schlimm sind, war die Kammer dennoch der Ansicht, dass dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden sollte, zumal er auch nur dann imstande sein wird, die Leistungen zu erbringen, zu denen er sich gegenüber der Zeugin (…), der Unfallkasse und der Stadt Kassel verpflichtet hat.

VII.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465, 472 StPO.